BNGO lehnt Ausschreibungsmodelle der gesetzlichen Krankenkassen ab
EFFIZIENTE VERSORGUNG DER PATIENTEN MIT ZYTOSTATIKA ERHALTEN
Eine Stellungnahme von ADKA, BNGO, BNHO, DAV, DGOP, DGP, DKG und VZA
Der nationale Krebsplan hat sich die Sicherstellung einer effizienten onkologischen Arzneimittelversorgung (Handlungsfeld 3) ebenso zum Ziel gesetzt wie die Stärkung der Patientenorientierung und -information (Handlungsfeld 4). Das Gutachten zur Sicherstellung einer effizienten Arzneimittelversorgung in der Onkologie von Glaeske et al., auf das der nationale Krebsplan Bezug nimmt, fordert aus Qualitätsgesichtspunkten und zur Vorbeugung einer Ressourcenverschwendung ausdrücklich, die wohnortnahe Versorgung der Krebspatienten zu stärken.
Die unterzeichnenden Verbände sind sich darin einig, dass die nach dem „Freibrief“ des BSG im November 2015 intensivierten Ausschreibungsmodelle der gesetzlichen Krankenkassen zur Versorgung der Patienten abzulehnen sind.
1. Krebsbehandlung als Versorgungsprozess
Bei der Behandlung krebskranker Patienten handelt es sich derzeit um einen gut abgestimmten, kommunikativen Versorgungsprozess, bei dem Krankenhaus, niedergelassene Ärzte und Apotheken in ein Versorgungsnetzwerk eingebunden sind. Die Netzwerke werden nach der Struktur des nationalen Krebsplans unter Berücksichtigung des Willens des Patienten von den Leistungserbringern organisiert. Schreiben die Krankenkassen nun aus, verlagern sie zum einen Entscheidungskompetenzen von den eigentlich dafür vorgesehenen Leistungserbringern auf sich. Zudem lösen die Ausschreibungen die Versorgung der Patienten mit den parenteralen Zytostatika aus der Netzwerkstruktur heraus. Es wird verkannt, dass die Zytostatikaversorgung schon für sich genommen nicht ausschreibungsgeeignet ist, weil sie als wesentlicher Bestandteil eines gut abgestimmten, kommunikativen Gesamtversorgungsprozesses weit über die reine Lieferung von Infusionslösungen hinausgeht.
2. Keine Einschränkung des Patientenwillens
Ausschreibungen schränken die Autonomie und die Wahlfreiheit der Patienten ein. Hierfür gibt es entgegen der Ansicht des Bundessozialgerichts in seiner Entscheidung vom 25.11.2015 keine rechtliche Grundlage. Auch für krebskranke Patienten gilt, dass sie darüber entscheiden dürfen und sollen, von wem sie ärztlich betreut und von wem sie mit der notwendigen Medikation versorgt werden.
3. Erhalt der fachlichen Kooperation Arzt-Apotheker
Die ambulante Versorgung der Patienten erfolgt derzeit in regionalen und praxisindividuell organisierten Kooperationen zwischen Arzt und Apotheker nach § 11 Abs. 2 ApoG unter Berücksichtigung des Patientenwillens. Diese Kooperationen
gewährleisten eine zeitnahe, wohnortnahe und sichere Versorgung der Patienten. Dadurch werden u.a. belastende Wartezeiten oder Mehrfachtermine für die ohnehin schwerkranken Patienten vermieden. Zudem kann bei einer ortsnahen Versorgung der
Patienten und engen Kooperation zwischen Arzt und Apotheke kostenintensiver Verwurf nicht verwendbarer Zubereitungen zum Vorteil der Kostenträger und damit der Solidargemeinschaft reduziert werden. Die bewährten Kooperationsstrukturen verhindern multiple, nicht mehr überschaubare Schnittstellen in der Arztpraxis, reduzieren damit die Fehleranfälligkeit in Arztpraxis und Apotheke zum Vorteil der Patienten und gewährleisten die Arzneimitteltherapiesicherheit durch die Versorgung aus einer Hand in besonderem Maße. Die notwendige Plausibilitätsbetrachtung der gesamten onkologischen Therapie mit parenteralen Zytostatika, Supportivtherapeutika, subkutan oder oral zu verabreichenden Zytostatika etc. in der Arztpraxis und der Apotheke ist gewährleistet. Insgesamt ist es damit für eine qualitätsorientierte Versorgung der Patienten unabdingbar, die ortsnahen, fachlichen und kosteneffizienten Kooperationen zwischen Arzt und Apotheken zu erhalten.
4. Keine Gefährdung der Therapiehoheit des Arztes
Ausschreibungen gefährden die Therapiehoheit der Ärzte durch Vorgaben an den Bezug der Zytostatikazubereitungen. Ausschreibungsverträge zwischen Apotheke und Krankenkasse stellen damit einen Vertrag zu Lasten Dritter dar, durch den die
betroffenen Fachärzte zwar einerseits verpflichtet werden sollen, andererseits aber in der Gestaltung völlig außen vor bleiben.
5. Keine Qualitätseinbußen, keine Risikoerhöhung bei der Herstellung
Ausschreibungen zerstören aufgebaute Qualitätsstrukturen, die eine sichere und standardisierte Therapie mit Zytostatika erst ermöglichen und schwerwiegende Fehler vermeiden. Der ausschreibungsbedingt stetige Wechsel von Kooperationspartnern in den Apotheken und in den Arztpraxen und die damit sogleich einhergehende Vielzahl von Ansprechpartnern bedingen Fehler und erhöhen den Aufwand zur Sicherung der strukturellen Qualität des Versorgungsprozesses enorm. Wenn in einer Apotheke
aufgrund von Ausschreibungen für den gleichen Wirkstoff – aus Gründen der Wirtschaftlichkeit – mehrere Präparate zur Herstellung verwendet werden müssen, erhöht dies das Risiko für verhängnisvolle Fehler bei der Zubereitung unter der Werkbank aufgrund unterschiedlicher Formulierungen, Konzentrationen und Gebinde der verschiedenen Arzneimittel.
6. Reduktion von Lieferengpässen und -ausfällen
Ausschreibungen erhöhen die Gefahr von relevanten und nicht kompensierbaren Lieferengpässen und -ausfällen durch noch stärkeren Preisdruck auf die Bezugsarzneimittel.
7. Keine Oligopolbildung
Zunehmender Preisdruck in den letzten Jahren und erhöhte Anforderungen an die Laborausstattung in den Apotheken haben die Versorgungslandschaft schon ausgedünnt. Ausschreibungen treiben die Bildung von Liefer-Oligopolen voran und gefährden damit die Versorgungssicherheit zum Nachteil der Patienten und der Versichertengemeinschaft. Regionale Apotheken fallen im zunehmenden Ausschreibungsmarkt aus der Versorgung heraus. Reinraumlabore in den Apotheken werden geschlossen bzw. abgebaut und können auch nicht kurzfristig wieder aktiviert werden. Vor Ort entfällt damit die erforderliche Infrastruktur für die Herstellung empfindlicher oder aufwändiger Zubereitungen, die gerade im Rahmen von klinischen Studien essentiell notwendig sind. Zudem geht durch den Wegfall spezialisierter Apotheken Fachkompetenz in der onkologischen und palliativen Versorgung unwiederbringlich verloren, die einen wesentlichen Eckpfeiler der qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung in Deutschland darstellt.
8. Keine Zwei-Klassen-Medizin
Ausschreibungen können zu einer Zwei-Klassen-Medizin führen, weil die Gefahr besteht, dass durch die Bedingungen der kassenverschiedenen Ausschreibungen die betroffenen Ärzte ihre Patienten nicht mehr wie heute effizient strukturiert behandeln können.
9. Erhalt der Palliativversorgung vor Ort
Die besonders zeitkritische Palliativversorgung ist bei einem Austritt der spezialisierten Apotheken aus dem Markt in hohem Maße gefährdet. Ein wichtiges Beispiel ist die Versorgung mit Schmerzpumpen im Rahmen der palliativen und spezialisierten
ambulanten Palliativversorgung. Über lange Distanzen und ohne regionale Netzwerke werden diese Patienten nicht versorgt werden können.
Berlin, den 07.09.2016
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